Offener Streit in der Friedensbewegung um das Verhältnis zu Russland. Der Landesverband Berlin-Brandenburg der altehrwürdigen Friedensgesellschaft DFG-VK schlägt öffentlich Alarm und will mit Leichensäcken, Tod-Kostümen und Graffiti vor der Russischen Botschaft gegen eine angebliche Friedens-Demo am 3.10. mit Sarah Wagenknecht, Ralf Stegner und Peter Gauweiler protestieren: „Das ist kein Pazifismus; das ist Putin-Propaganda!“ sagt Toni Schmitz, Sprecherin der DFG-VK Berlin-Brandenburg. „Wir stellen klar: „Die russische Regierung führt in der Ukraine immer noch einen mörderischen und verbrecherischen Angriffskrieg!“
Leichensäcke vor der russischen Botschaft
Die russische Botschaft in Berlin liegt am Berliner Prachtboulevard Unter den Linden. Doch statt Tourist:innen treiben hier in den Morgenstunden des 3. Oktobers Gestalten in Tod-Kostümen ihr Unwesen. Mit zischenden Farbdosen bemalen sie eine zwischen zwei Linden gespannte Wand aus Frischhaltefolie. Durch die Folie sieht man das Hauptportal der Botschaft und die russische Flagge. Geschickte Hände, die in Skelett-Handschuhen stecken, schreiben „Russland führt Angriffskrieg!“ auf die Folie. Selbst gebastelte symbolische Leichensäcke komplettieren das Bild.
So oder so ähnlich stellt sich Schmitz die geplante Gegen-Kundgebung der DFG-VK Berlin-Brandenburg am 3.10.2024 vor der Russischen Botschaft in Berlin vor: „Wir rufen damit die Angestellten der russischen Botschaft dazu auf, alles zu tun, damit ihre Regierung den Krieg beendet und ihre Armee aus der Ukraine abzieht“ sagt Schmitz an die Botschaftsangehörigen gewandt: „Feiert krank, desertiert, macht Dienst nach Vorschrift, sabotiert, spioniert, unterstützt die Opposition: Hört auf, das Morden in der Ukraine zu unterstützen!“
Solidarisches Zitat von Kriegsgegner:innen aus Petersburg
Auf den Leichensäcken steht geschrieben: „Z-200“. Die Popkultur der russischen Welt machte diesen militärischen Frachtcode für Leichenteile bekannt. Kriegsgegner:innen aus Petersburg beschrifteten 2022 schwarze Müllsäcke auf diese Weise und verteilten diese im Stadtgebiet. Damit machten sie ihre Mitmenschen auf die wahre Bedeutung der angeblichen „Spezialoperation“ aufmerksam. „Mit diesem Zitat wollen wir auch ein Zeichen der Solidarität mit russischen Kriegsgegner:innen setzen“ erklärt Schmitz.
Zustimmung zu russischer Propaganda steigt an
In der Friedensbewegung steigt die Zustimmung zu russischer Propaganda zur Zeit enorm an. Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit möchte die aus der Friedensbewegung stammende Initiative „Nie-wieder-Krieg!“ rund ums Brandenburger Tor aufmarschieren. Hinter der Initiative stehen Reiner Braun, Jutta Kausch-Henken von der Berliner FRIKO und weitere B-Promis aus der Friedensbewegung. Mit „Nie wieder Krieg!“ meinen sie jedoch nicht den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Stattdessen fantasieren sie von einem „Stellvertreterkrieg der Nato in der Ukraine“. Es drohe ein „Großkrieg“, dessen Eskalation „der Westen“ – einschließlich der Bundesregierung, die fürs nächste Jahr die Hilfe für die Ukraine halbiert hat- angeblich „immer mehr“ beschleunige.
Täter-Opfer-Umkehr
Die einzige Stelle im Aufruf, wo Russland vorkommt, verklärt es als Opfer. Denn die Aufrufenden stören sich zuallererst nur an den (tatsächlich zögerlichen) Waffenlieferungen des „Westens“ und der immer noch recht beschränkten „Erlaubnis, diese auch gegen russisches Gebiet einzusetzen.“
Was im Aufruf fehlt
Was im Aufruf auch nicht vorkommt, sind die Betroffenen der russischen Bombardements in der Ukraine oder Strategien für zivile Hilfe an die Opfer. Stattdessen werden die Interessen der Ukrainer:innen in klassischer kolonialer Großmachts-Attitüde übergangen. „Ein Solidaritätszeichen mit russischen Deserteuren? Ein Hinweis auf die russische Anti-Kriegs-Opposition? Die Forderung nach Asyl für Kriegsdienstverweiger:innen? Nichts davon findet sich im Aufruf!“ zeigt Schmitz auf: „Oder gar eine Idee, wie man gewaltfrei Druck ohne Waffenlieferungen auf die Kriegstreiber:innen im Kreml machen könnte, damit sie ihren Angriffskrieg beenden? Alles Fehlanzeige.“
Verschwörungsdenken
Stattdessen verbreiten die Aufrufenden Verschwörungsnarrative. Im Aufruf heißt es: „Demokratischen Meinungsaustausch fördern, sachliche Berichterstattung ermöglichen! – Keine Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit!“ „Als wäre das in Deutschland ein massives Problem – und nicht etwa in Russland…“ merkt Schmitz an. Eine ausführliche Kritik am Aufruf der Initiative „Nie wieder Krieg!“ findet sich -> hier.
Corona-Verschwörer:innen machen auf Frieden
Der Blinker im Aufruf von „Nie wieder Krieg!“ Richtung Verschwörungswahn ist kein Zufall. Der führende Akteur in der Initiative ist Reiner Braun. 2014 versuchte Braun bereits Verschwörungsgläubige und Antisemit:innen aus der sogenannten „Wahnmachen-Bewegung“ in die Friedensbewegung zu integrieren. Dazu rief er „Stop Ramstein“ ins Leben. Braun bemüht sich seit der Corona-Pandemie, die von ihm als „neue Bürgerrechtsbewegung“ bezeichneten Verschwörungsgläubigen von den „Corona-Demos“ in die Friedensbewegung zu integrieren. Für den 26.10.2024 hat Braun angekündigt, ausgerechnet zusammen mit dem wegen Betruges angeklagten Querdenken-Gründer und mittlerweile bei den Reichsbürgern gelandeten Michael Ballweg über „Die notwendigen nächsten Schritte für den Frieden“ diskutieren zu wollen.
„Den Vogel schoss Reiner Braun jedoch im Juni 2024 mit einer Pressemitteilung der Initiative „Nie wieder Krieg“ ab“ erklärt Schmitz: „Während man in der Pressemitteilung das Wort „Russland“ vergebens suchte, beschrieb gleich der erste Satz Russlands Angriffskrieg in feinster Putin-Propaganda als „ (…) Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine (…).“„
Bundesverband distanziert sich von angeblicher „Friedens“-Demo
Auch der Bundesverband der DFG-VK distanzierte sich mittlerweile von der Initiative „Nie wie Krieg“. Angesichts der vorbereitenden Online-Treffen sei man „fassungslos“ gewesen. „Es ist zu befürchten, dass sich politisch rechte Kreise sowie Anhängerinnen von Verschwörungsmythen von der Demonstration angezogen fühlen“. (..) Nichts könne „den großangelegten Angriff Russlands seit Februar 2022 (…) rechtfertigen. (..) Eine Demonstration, mit der für Frieden gestritten wird, muss alle Kriegstreiberinnen klar benennen und verurteilen – sonst sollte sie die Bezeichnung „Frieden“ nicht tragen dürfen.“ Denn: „Wir sind für politisch rechte Positionen nicht offen.“
Hetze und Hass statt Frieden
Der Aufruf „Pazifismus statt Putin-Propaganda“ gefällt jedoch nicht jedem in der Friedensbewegung. Toni Schmitz und seine Berliner Kolleg:innen haben auf ihrem Blog Reaktionen auf den Aufruf veröffentlicht, die sie per Mail erhielten. Der Titel lautet „Seit ihr völlig verrückt geworden?!!!!“ oder „von der CIA bezahlt?!!!!“ Reiner Braun selbst beschwert sich über „(…) Kampagnen des Gegners, wenn sie uns beispielsweise als „Putinfreunde“ bezeichnen oder der Friedensbewegung unverschämterweise Rechtsoffenheit unterstellen. Letzteres wird leider auch von einigen in der Bewegung wiedergekaut.“ „Das ist leider der übliche Umgangston in einer von toxischen alten Männern dominierten angeblichen Friedensbewegung“ resümiert Toni Schmitz: „Weil die Friedensbewegung lange nicht durch interne Kritik herausgefordert wurde, stecken viele gedanklich noch in 1980ern, sodass sie nicht mal merken, wie unglaubwürdig sie sich mit so einem Verhalten machen…“
Antimilitarische Aktion Berlin
Unterstützung bekommt die Berliner Friedensgesellschaft DFG-VK von der Antimilitaristischen Aktion Berlin. Sie ist die einzige Basisgruppe in der DFG-VK mit einem Altersschnitt näher an der 0 als an der 100. Während der Rest der Friedensbewegung nach der russischen Invasion in die Ukraine erstmal das Weltbild gerade rücken musste, gelang es der Antimilitaristische Aktion, bereits 7 Tage später mit einer richtungsweisenden Aktion an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit der Aktion „Gaz off“ und einem symbolischen Pipeline-Sägen forderten die jungen Aktiven einen Stopp der Gaslieferungen aus Russland.
Mit Leichensäcken in den Geheimdienstbericht
Auch die Idee mit den Leichensäcken ist von der Antimilitaristischen Aktion. Mit einer ähnlichen Aktion protestierte die Gruppe bereits im Oktober 2022 gegen eine Demo von Braun&Co. „Wir wollen ja noch in den Spiegel gucken können…“ sagt eine der Aktiven dazu. Ausgerechnet diese beiden Aktionen schafften es in den Jahresbericht des Berliner Geheimdienstes. Mit Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und parlamentarischen Anfragen machten die jungen Aktiven es für die Geheimen so ungemütlich, dass der Geheimdienst dieses Jahr auf eine erneute Nennung der Gruppe verzichtete. „Also gleich nochmal!“ freut sich Toni Schmitz.
Fazit
Die Friedensbewegung und auch die DFG-VK sind für Putins Leute als Verstärker ihrer Propaganda interessant. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ deckte erst im Mai einen gezielten Vereinnahmungsversuch aus dem Netzwerk des Oligarchen Medwedtschuk auf. Einen ähnlichen Hintergrund hat der Ausschluss des auch von der DFG-VK unterstützten ukrainischen Kriegsdienstgegners Ruslan Kotsaba aus dem „Ukrainian Pacifist Movement“.
Doch statt diese Gefahr ernst zu nehmen, wischen weite Teile der Friedensbewegung diese Gefahr durch Putin-Propagadanda einfach beiseite und marschieren dubiosen Anführer:innen hinterher. „Eine emanzipatorische antifaschistische Friedensbewegung muss sich darüber hinaus klar gegen Medienfeindlichkeit, Antiamerikanismus, Verschwörungsdenken, Antisemitismus und Putin-Propaganda positionieren“ sagt Toni Schmitz. „Denn das Thema Frieden ist viel zu wichtig, um es diesen Leuten zu überlassen.“
Mehr Infos:
„Pazifismus statt Putin-Propaganda!“ Aktionsaufruf der DFG-VK Berlin-Brandenburg
Distanzierung des Bundesverbandes der DFG-VK von der Demo am 3.10.
„Von der Friedensbewegung zur Weltuntergangssekte“: Ausführliche Kritik am Aufruf
Sa. 28.9. Gemeinsames Leichensäcke-Basteln für „Pazifismus statt Putin-Propaganda“ 14h